Yvonne Zwick
Vorsitzende des B.A.U.M. e.V.
Yvonne Zwick, Dipl. theol., Vorsitzende des B.A.U.M. e.V. seit 1.1.2021, durchlief ab 2004 verschiedene Positionen in der Geschäftsstelle des Rates für Nachhaltige Entwicklung. Zuletzt war sie dort Stellvertretende Generalsekretärin und Leiterin des Büro Deutscher Nachhaltigkeitskodex. Sie arbeitet als Expertin in der Expertenarbeitsgruppe KMU der European Financial Reporting Advisory Group – EFRAG mit, die den europäischen Nachhaltigkeitsberichtsstandard für mittelständische Unternehmen ausarbeitet.
Sie sprach mit Thomas Mog, Projektleiter der Net Zero Banking Alliance Germany anlässlich Ihrer Berufung in die EFRAG KMU working group.
Thomas Mog: Liebe Yvonne, die Gestaltung der Entwicklung zu einem sozial-ökologischen Wirtschaften hast Du bereits in zahlreichen Stationen mit geprägt. Nun bist Du seit November 2021 auch ehrenamtliches Mitglied der European Financial Reporting Group geworden, dort für den Bereich KMU.
Herzlichen Glückwunsch zu dieser Berufung, mit der Du Botschafterin des deutschen Mittelstandes auf EU Ebene geworden bist!
Yvonne Zwick: Danke! Ich freue mich auch!
Wie bist Du zur EFRAG gekommen? Wie läuft so ein Auswahlverfahren ab?
Zwick: Im Prinzip kam ich vom „Hölzken aufs Stöcksken“ – vom DRSC Nominierungsausschuss, wo ich niemals mit einer Mitgliedschaft gerechnet hätte, dachte ich weiter, dass ich dann bei der EFRAG so komplett verkehrt auch nicht sein könnte. Es gab ein offizielles Bewerbungsverfahren, einen Aufruf der EFRAG, sich für die Expert:innenarbeitsgruppen zu bewerben. Ich horchte mich um, fragte hier und da kluge Menschen, ob sie eine Bewerbung in Betracht ziehen. Von einem einzigen wusste ich dann, dass er sich bewerben würde. Kurz vor Torschluss warf ich dann doch noch meinen Hut in den Ring und legte mein Profil offen – nach dem Motto, dass sie schon zugreifen würden, wenn sie eine wie mich brauchen würden.
Welche Rolle hat die EFRAG bei der Ausgestaltung der europäischen Standards für nachhaltigkeitsbezogene Berichterstattung?
Zwick: Im April 2021 hat die Europäische Kommission einen Legislativvorschlag für eine Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen (CSRD) gemacht, die die Nonfinancial Reporting Directive ablöst. Eine der wichtigsten Bestimmungen ist, dass Unternehmen, die in den Geltungsbereich der Richtlinie fallen, gemäß den europäischen Berichtsstandards (ESRS) berichten müssen, die von der Europäischen Kommission als delegierte Rechtsakte angenommen werden. Die EFRAG wurde von der EU-Kommission mandatiert, Standardentwürfe für die Berichterstattung zur CSRD zu entwickeln. Sie organisiert das in einem Multistakeholderverfahren mit einer Project Task Force (PTF-ESRS).
„Im Prinzip kam ich vom „Hölzken aufs Stöcksken“ – vom DRSC Nominierungsausschuss, wo ich niemals mit einer Mitgliedschaft gerechnet hätte, dachte ich weiter, dass ich dann bei der EFRAG so komplett verkehrt auch nicht sein könnte.“
Wie ist die Arbeit der EFRAG strukturiert und welche Arbeitsgruppen gibt es?
Zwick: Der PTF-ESRS umfasst 35 Mitglieder mit begründetem Interesse an Nachhaltigkeitsberichterstattung. Sie kommen aus 13 EU-Mitgliedstaaten und aus allen relevanten Bereichen. Unterstützt wird die PTF von einer Geschäftsstelle, die den Arbeitsprozess stark strukturiert, zum Beispiel indem innerhalb der PTF in zehn Clustern gearbeitet wird. Zu den zehn Clusterthemen gibt es elf Experten-Arbeitsgruppen mit nochmal rund 70 Mitgliedern. Der Prozess ist sehr strukturiert. Anders kommt man wahrscheinlich angesichts des ambitionierten Zeitziels auch zu keinem Ergebnis. Schließlich soll der europäische Nachhaltigkeitsberichtsstandard bis Juni 2022 fertig gestellt und im Oktober im europäischen Parlament beschlossen werden, damit er ab nächstem Jahr die Grundlage für die Berichtsprozesse europäischer Unternehmen sein kann.
Welche Aufgabe hast Du in der Arbeitsgruppe zu KMU?
Zwick: Meine Aufgabe ist, mit fachlicher Expertise Input zu Arbeitspapier-Entwürfen zu leisten und vorläufige AG-Entwürfe der Standards zu kommentieren, bevor sie weiter konsolidiert und danach in öffentliche Konsultation gegeben werden. Für den KMU-Berichtsstandard ist das für den Sommer 2022 geplant. Ich bringe meine Erfahrungen mit dem Standardsetzungsprozess und der praktischen Anwendung des Nachhaltigkeitskodex ein sowie die Perspektive als Vorsitzende von B.A.U.M. e.V. – also mehr denn je mit der Brille der Anwendungsfähigkeit in Unternehmen, die etablierte Prozessstrukturen soweit es geht nutzen und sich mit Nachhaltigkeitsleistungen am Markt profilieren wollen. Klare Rahmensetzung und Festlegung von Berichtsinhalten wird in unserer Community eher begrüßt – insbesondere, wenn sie konkrete Wirkungen und Anstrengungen offenlegen helfen und damit wettbewerbsverändernden Charakter gewinnen. Diese Perspektive der vorwärts denkenden Unternehmen in unserem Netzwerk kanalisiere ich in die KMU-Arbeitsgruppe.
Inwiefern finden Diskussion in der EFRAG Prinzipien-basiert statt und an welchen Stellen wird eher auf einen granularen, technischen Ansatz gesetzt? Zeichnen sich Kompromisse ab?
Zwick: So, wie ich es dem ersten Batch von Arbeitspapieren aus den Arbeitsgruppen entnehme, die im Januar veröffentlicht wurden, nähert sich auch der PTF-ESRS-Prozess über den prinzipienbasierten Ansatz dem Thema. Einleuchtend finde ich die „Rule of three“, wie sie Patrick de Cambourg nennt: die Standards auf der ersten Ebene sektorunabhängig – für maximale Vergleichbarkeit, dann über sektorspezifisch – für maximale Relevanz bis hin zu unternehmensspezifisch, gegossen in den jeweiligen Nachhaltigkeitsbericht vorzuarbeiten. Die drei Berichtsbereiche: Strategie, Umsetzung und Leistungsmessung vollziehen ebenfalls die Konkretion von allgemeiner zu spezifischer, sprich granularer Ebene. Und wer sich den Prototypen für den Klimastandard ansieht, erkennt schnell, dass das ziemlich detailliert wird und sich in spezifischen Datenpunkten konkretisiert.
Wie fließen die Arbeitsergebnisse der EFRAG in den politischen Prozess ein? Gelten die Empfehlungen der EFRAG direkt?
Zwick:Da der Richtlinien-Vorschlag für die CSRD bereits die noch durch die EFRAG zu entwickelnden Berichtsstandards schon enthielt, ist es absehbar, dass die ESRS nach Annahme durch die EU-Kommission durch delegierte Rechtsakte in Kraft treten. Sie sind für berichtspflichtige Unternehmen dann auch mehr als eine Empfehlung. Sie sind dann der Standard, mit dem die EU-Berichtspflicht erfüllt wird – wie der Name schon sagt.
Die Arbeit am europäischen Standard für nachhaltigkeitsbezogene Offenlegung ist sicher vielschichtig und komplex. Auf welche Aspekte der Arbeit innerhalb der EFRAG trifft das besonders zu? Welche Ansätze sind aus deiner Sicht am erfolgversprechendsten, um die Herausforderungen zu meistern?
Zwick:Das eine ist die arbeitspraktische Komplexität – die schiere Organisation des Multistakeholderprozesses mit den unterschiedlichen Formaten und Zusammensetzungen. Das andere ist die inhaltliche Komplexität, wobei hier Unternehmen, die mit der einfachen Struktur des Nachhaltigkeitskodex in die Berichtswelt hineingewachsen sind und die irgendwann mit der Struktur der NFRD / CSR-RUG abgeglichen wurde, klar im Vorteil sind. Sie werden die konzeptionellen Leitlinien und bereichsübergreifenden Normen in der PTF-ESRS-Struktur beispielsweise als übergeordnetes Nachhaltigkeitskonzept wiedererkennen und die ökologischen, gesellschaftlichen, menschenrechtlichen, Governance und Compliance-Belange als einzelne Säulen, die das Nachhaltigkeitskonzept tragen.
Wer den Überblick gewinnen will, dem empfehle ich den Zwischenbericht der EFRAG von November 2021. Was im Prozess und der Standard-Architektur komplex ist, hat die EFRAG in einem Schaubild dargestellt. Es wird auch helfen, wenn es irgendwann an die Berichterstattung geht, das Ziel vor Augen zu haben, für die diese gesamte Übung angestrengt wird: mit zukunftsfähigem Wirtschaften eine lebenswerte Zukunft zu schaffen. Das ist doch jede Mühe wert!
Mog: Vielen Dank für die Einblicke, Yvonne und gutes Gelingen, die richtige Mischung zu finden zwischen Wirkung und Praktikabilität für die berichtenden Unternehmen.
Zwick: Gerne!