Deutsche Firmen berichten zu EU-Taxonomie – Interview mit Lothar Rieth und Sebastian Rink

Große deutsche Unternehmen müssen erstmalig für das Geschäftsjahr 2022 die EU Taxonomie Konformität ihrer Geschäftsmodelle berichten. Econsense, Frankfurt School of Finance & Management und die Universität Kassel haben die EU Taxonomie Kennzahlen analysiert und zentrale Erkenntnisse in dem Report „Let’s talk numbers: EU Taxonomy reporting by German companies“ veröffentlicht.

Jacques Deforges, Chief Executive Officer von Finance Montréal, und Hubertus Väth, Geschäftsführer von Frankfurt Main Finance, unterschreiben in Montreal ein Memorandum of Understanding zur Zusammenarbeit der Finanzplätze.
Jacques Deforges, Chief Executive Officer von Finance Montréal, und Hubertus Väth, Geschäftsführer von Frankfurt Main Finance, unterschreiben in Montreal ein Memorandum of Understanding zur Zusammenarbeit der Finanzplätze.

Lothar Rieth, Leiter Nachhaltigkeit bei EnBW, und Sebastian Rink, Sustainable Finance Experte an der Frankfurt School sowie Berater der Net Zero Banking Alliance Germany, diskutieren die Ergebnisse der Studie im Interview mit Kristina Jeromin.

Was ist die Zielsetzung der Kooperation zwischen econsense und Frankfurt School zum Umsetzungsstand der Taxonomie?

Rieth: Nach vielen Diskussion rund um die Einführung der Diskussion ist der Blick auf die eigentliche Funktion der EU-Taxonomie verloren gegangen, nämlich neben nur begrenzt verfügbaren öffentlichen Ressourcen, private Ressourcen für die Erreichung der Nachhaltigkeits- und Klimaschutzziele in Europa zu mobilisieren. Wir wollten daher eine erste umfassende Analyse für deutsche Unternehmen präsentieren, um zu zeigen, ob mit der EU-Taxonomie wichtige Impulse in Richtung Privatwirtschaft gesetzt werden konnten.

Ganz ehrlich, wo stehen wir bzw. wo der Markt aktuell?

Rink: Die Studie zeigt: es ist noch Luft nach oben. Aktuell leistet nur ein geringer Teil der Wirtschaft substanzielle Beiträge zum Klimaschutz. Die Zahlen zu Investitionen deuten darauf hin, dass die Wirtschaft Fortschritte beim Klimaschutz macht, allerdings muss auch hier das Tempo mehr anziehen. Sektoral bestehen große Unterschiede. So ist beispielsweise der Energiesektor auf einem vergleichsweise guten Weg wohingegen ein großer Teil der Industrie Aufholbedarf hat.

Rieth: Die Studie zeigt sehr gut auf, dass die EU-Taxonomie in ausgewählten Sektoren, einen Großteil der Geschäftsaktivitäten bereits abdeckt. So konnten wir in der Energiebranche direkt den hohen Anteil unserer taxonomiekonformen Aktivitäten ausweisen. Ein Blick auf deutsche, aber auch andere europäische Energieunternehmen zeigt, dass sich viele bereits heute mit ihrem taxonomiekonformen CAPEX-Anteil über 70% bewegen.

Wo seht ihr die größten Chancen aber auch Herausforderungen?

Rieth: Für uns besteht die größte Chance in der EU-Taxonomie unsere Transformation zum nachhaltigen Infrastrukturpartner glaubwürdig und mit belastbaren Zahlen zu belegen. Auch in der Energiewirtschaft müssen wir uns mit Greenwashing-Vorwürfen auseinandersetzen. Jetzt können wir mit unserem grünen CAPEX und darüber hinaus freiwillig mit unseren grünen ADJ. EBITDA-Anteil zeigen, dass wir umfassend in nachhaltige Technologien investieren. Neben dieser Chance sehen wir uns aber natürlich auch mit einer enormen Herausforderung konfrontiert: Insbesondere für die Erstbearbeitung der EU-Taxonomie braucht es zunächst sehr umfassenden Input verschiedenster Fachbereiche. Um ein belastbares Taxonomie-Reporting für einen Konzern wie die EnBW aufzusetzen haben wir daher ein bereichsübergreifendes Projektteam gegründet, das kontinuierlich daran arbeitet, auch die neuen komplexen Anforderungen wie die jüngst verabschiedete TAXO4-Erweiterung der Taxonomie zu erfüllen.

Rink: Mit der EU-Taxonomie haben wir in Europa zum ersten Mal einheitlich definiert, wie und wann unternehmerische Aktivität zum Klimaschutz beiträgt. Damit haben Unternehmen jetzt ein offizielles Playbook für den Green Deal und können ihre Strategien entsprechend anpassen. Das ist eine riesige Chance für die europäische Wirtschaft! Die EU-Taxonomie wird konstant weiterentwickelt und es sind noch nicht alle Wirtschaftsaktivitäten abgedeckt, die aus wissenschaftlicher Sicht substanzielle Beiträge zum Klimaschutz und zu den weiteren Umweltzielen der EU leisten können. Beispielsweise fehlen weiterhin Kriterien für die Landwirtschaft. Dies sollte möglichst schnell geändert werden, damit das Playbook für alle relevanten Wirtschaftsaktivitäten verfügbar wird.

Wie gestaltet sich aktuell in euren Augen der Dialog zwischen Realwirtschaft und Finanzbranche zu Fragen der Transformationsfinanzierung? Was läuft schon gut und wo ist Luft nach oben? Welche Rolle spielt hier die Regulierung?

Rieth: Bei der Begebung von grünen Anleihen für unsere Fremdkapitalfinanzierung, sehen wir, dass die EU-Taxonomie uns als Standard sehr gut unterstützt. Dadurch, dass wir bestimmte Geschäftsaktivitäten bereits als vom Wirtschaftsprüfer geprüft taxonomiekonform ausweisen können, können wir im Dialog mit Banken und Investoren – neben der Second Party Opinion – auf die Taxonomie-Konformität unserer Geschäftsaktivitäten hinweisen, so wie es der Green Bond Standard der EU empfiehlt.

Wie geht es nach der Veröffentlichung eures gemeinsamen Papiers nun weiter? Plant ihr weitere gemeinsame Initiativen?

Rink: Deutsche Unternehmen haben einen wichtigen Meilenstein mit den Berichten zu den ersten EU-Taxonomie Kennzahlen genommen. Nun gilt es, die Anwendung der EU-Taxonomie im Finanzsystem voranzubringen, die Anwendbarkeit der EU-Taxonomie bei Unternehmen zu stärken und die Effektivität der EU-Taxonomie beim Umlenken von Kapitalflüssen festzustellen. Hierzu sind Dialogformate zwischen Politik, Praxis und Forschung, weitere Bildungsmaßnahmen, sowie Forschungsaktivitäten nötig. Diese werden wir in den nächsten Monaten forcieren.