Interview mit Dr. Manuel Reppmann und Jakob Kunzlmann
Jakob, die Bertelsmann Stiftung ist Teil eines vielfältigen Netzwerk, das den Sustainability Transformation Monitor (STM) ins Leben gerufen hat und begleitet. Wer ist alles dabei und welches Ziel verfolgt ihr?
Jakob Kunzlmann: In den letzten fünf Jahren starteten zwei wesentliche Entwicklungen. Zum einen wurde immer klarer, dass unternehmerische Verantwortung anders gedacht werden muss, als dies von ihren Anfängen Ende der 1990er Jahre bis in die Mitte der 2010er Jahre der Fall war. Ein guter „Corporate Citizen“ sein und Verantwortung über das Kerngeschäft hinaus zu übernehmen, reicht nichtmehr um die Nachhaltigkeitsrisiken für Wirtschaft und Gesellschaft ín den kommenden Jahren zu minimieren – die Kerngeschäfte an sich müssen nachhaltiger werden.
Aus dieser Erkenntnis hat sich andererseits die regulative Architektur der Europäischen Union für eine nachhaltigere Wirtschaft herausgebildet. Der European Green Deal, wird mit der sukzessiven Überführung in nationales Recht ab jetzt und in den kommenden Jahren Wirkung erzielen – welche, das wollen wir durch den STM in den nächsten Jahren evidenzbasiert abbilden. Dazu fokussieren wir zum einen auf das Nachhaltigkeitsmanagement – wir blicken in den Maschinenraum der Nachhaltigkeit in Unternehmen. Was verändert sich, was sind Treiber, was hemmt die Transformation?
Zum anderen entscheidet die Güte des Zusammenspiels von Real- und Finanzwirtschaft über Akzeptanz und Höhe der privaten Mittel, die in nachhaltigere Geschäftsmodelle kanalisiert werden – hier interessiert uns, wie der Dialog und die Interaktion zwischen beiden Welten aussehen, wie optimal sind diese verzahnt und wo gibt es Gestaltungspielraum?
Der STM ist ein Kooperationsprojekt von zehn Organisationen, die über die nächsten Jahre die Transformation der Wirtschaft evidenzbasiert gestalten wollen. Dazu braucht es verlässliche Daten zum „Status-Quo“ der Transformation, wo stehen die Unternehmen, was funktioniert, wo gibt es Herausforderungen? Als operative Steuerungsgruppe arbeiten in unterschiedlichen Rollen die Stiftung Mercator, die Universität Hamburg, die Peerschool for Sustainable Development und die Bertelsmann Stiftung zusammen. Unterstützt werden wir von einem breiten Partnernetzwerk. Aus der Realwirtschaft sind dies der Bundesverband nachhaltige Wirtschaft (BNW), B.A.U.M und das UN Global Compact Netzwerk Deutschland. Aus dem Bereich Sustainable Finance unterstützen uns das Corporate Responsibility Interface Center (CRIC), eine Investorengemeinschaft zur Förderung von Ethik und Nachhaltigkeit bei der Geldanlage und die Wissenschaftsplattform Sustainable Finance. Der Rat für nachhaltige Entwicklung (RNE) fördert die politische Anbindung der Ergebnisse.
Manuel, du begleitest den STM von der Konzeption des Fragebogens bis Auswertung der Ergebnisse mit wissenschaftlicher Expertise. Was ist neu im aktuellen Fragebogen und worauf können sich die Teilnehmenden freuen und warum lohnt sich die Teilnahme?o steht der deutsche Markt heute – auch im internationalen Vergleich?
Dr. Manuel Reppmann: Wir haben in den letzten Monaten viel mit der Zielgruppe der Studie gesprochen, um die Ergebnisse noch stärker an dem Erkenntnisinteresse der Nachhaltigkeitsverantwortlichen auszurichten. Neben der Erhebung des Status Quo der Nachhaltigkeitstransformation in Organisationen der Real- und Finanzwirtschaft, erheben wir ab diesem Jahr mehr Daten zur Interaktion zwischen Real- und Finanzwirtschaft, um noch besser zu verstehen, wie die Finanzierung der Nachhaltigkeitstransformation von Organisationen gelingen kann. Wir, das STM-Team, verstehen uns hierbei als Dienstleister für die Nachhaltigkeitsverantwortlichen, um sie dabei zu unterstützen, die Nachhaltigkeitstransformation in Organisationen erfolgreich zu gestalten.
Die Relevanz der Erhebung steht und fällt mit der Anzahl der Rückmeldungen aus den Organisationen – deshalb bitten wir alle, teilzunehmen, damit wir gemeinsam eine aussagekräftige Grundlage für eine evidenzbasierte Gestaltung der Transformation schaffen können!
Als Forscher an der Professur für Nachhaltiges Wirtschaften der Universität Hamburg (ehemals Universität Mannheim) untersucht Dr. Manuel Reppmann mit Unternehmen Ansätze zur Nachhaltigkeitstransformation. Seine Forschung umfasst Themen wie ESG-Daten, Wesentlichkeitsanalysen sowie das Zusammenspiel von Nachhaltigkeitsberichterstattung und Organisationswandel. Zusätzlich agiert Manuel auch als strategischer Sparringspartner für Unternehmen, um sie bei der praktischen Umsetzung von Nachhaltigkeitsthemen zu begleiten.
Wann werden die Ergebnisse vorliegen und über welche Events und Plattformen werden sie veröffentlicht?
Kunzlmann: Die Ergebnisse werden am 1. Februar 2024 in Berlin veröffentlicht und im Rahmen einer Veranstaltung mit der Politik, der Wirtschaft und Zivilgesellschaft diskutiert. Momentan sind wir in der Erhebungsphase und freuen uns über Unternehmen, die mitmachen.
Einen ersten Einblick in die Ergebnisse werden wir am 16. November im Rahmen des Sustainable Finance Gipfels Deutschland vorstellen und diskutieren. Wir streamen live aus der Bertelsmann Stiftung Berlin die Diskussion mit Vertretern der Realwirtschaft, der Finanzwirtschaft und der Wissenschaft. Einen etwas anderen Blick in die Daten geben wir im Rahmen des Sustainable Economy Summits Mitte Dezember in Berlin. Hier konzentrieren wir uns auf aktuelle Entwicklungen im Nachhaltigkeitsmanagement in Unternehmen.
Jakob Kunzlmann ist Senior Expert Nachhaltige Soziale Marktwirtschaft bei der Bertelsmann Stiftung. Dort leitet er den Arbeitsbereich „Nachhaltige Wertschöpfung“ und verantwortet Studien zum Status-quo der Nachhaltigkeitstransformation der Wirtschaft, im Bereich Impact Measurement & Valuation, zu den Auswirkungen von neuer Regulierung der Berichterstattung auf Unternehmen sowie zu nachhaltiger Geschäftsmodelltransformation. Er hat in der Wissenschaft und der Politikberatung gearbeitet.
Manuel, kannst Du uns einige Einblicke mittel- bis langfristige Entwicklung des STM geben – wie geht es weiter?Welche Rolle kann Impact Investing bei der Transformationhin zu nachhaltigem Wirtschaften und Schließen der SDG Finanzierungs-Lücke spielen?
Reppmann: Unser übergeordnetes Ziel ist es, den STM als relevanten Seismograf der Nachhaltigkeitstransformation deutscher Unternehmen zu etablieren. Die wiederkehrende jährliche Datenerhebung soll es uns ermöglichen, die Nachhaltigkeitstransformation im Zeitverlauf besser zu verstehen und insbesondere die Punkte zu identifizieren, wo es noch hakt. Auch möchten wir zeigen, wie sich externe Ereignisse und politische Weichenstellungen auf die Nachhaltigkeitstransformation auswirken. Wir haben zudem erste Ideen, um mit dem STM zukünftig auch international zu expandieren – ob das kommt und wann kann ich heute allerdings noch nicht sagen. Momentan konzentrieren wir uns auf Deutschland.
Habt ihr eine Lieblingsfrage / Fragenkomplex und wenn ja, welche und warum?
Kunzlmann: Ich bin der festen Überzeugung, dass die Transformation der Wirtschaft hin zu einer dekarbonisierten und nachhaltigeren Wirtschaft möglich und notwendig ist, die Umstellung ist jedoch für jedes einzelne Unternehmen mit teilweise erheblichen Kosten verbunden. Indem Finanzierungsinstrumente zur Transformation an Nachhaltigkeitskriterien gekoppelt werden, können diejenigen belohnt werden, die sich auf den Weg machen und ihre Ziele effektiv verfolgen. Welche Rolle Nachhaltigkeit in Finanzierungsgesprächen spielt, halte ich für extrem spannend. Je mehr Gewicht dem Thema eingeräumt wird, desto mehr wird sich die Finanzierung an nachhaltigen Aspekten der Unternehmensführung orientieren.
Reppmann: Unternehmen der Realwirtschaft haben momentan einen großen Informations- und Beratungsbedarf um die Komplexität in vielen Bereichen der Nachhaltigkeitstransformation zu bewältigen, wie z.B. in Sachen Regulierungs- oder ESG-Rating-Dschungel.
Aus meiner Sicht ist eine wichtige Frage, inwiefern Banken, neben der klassischen Finanzierungsfunktion, Unternehmen der Realwirtschaft auch dabei unterstützen sollten/können. Hier finde ich es spannend, die Erwartungen von Unternehmen an die Rolle ihrer Finanzierungspartner:innen zu verstehen und das mit dem Rollenverständnis von Banken abzugleichen.